Jupp Müller, ein altenaer Original

 

Josef Müller, genannt Jupp, ein Altenaer Fuhrmann des Jahrgangs 1897, fuhr für die Spedition C.F. Neuhaus als dem bahnamtlichen Spediteur in Altena mit seinem zweispännigen Pferdefuhrwerk Stückgut aus.
Er übernahm in der Regel die Fracht am Güterbahnhof in Altena und verteilte sie im ganzen Stadtgebiet, sowohl an Firmen, Behörden und Privatpersonen.

Jupp Müller mit Einspänner am Pferdestall in der unteren Bachstraße
Jupp Müller mit Einspänner am Pferdestall in der unteren Bachstraße

Früher beförderte er mit dem Gespann auch die Post nach Dahle und Evingsen.
Eines Tages wurde er von einem Bekannten gebeten, bei dieser Gelegenheit aus Gefälligkeit und gegen die Vorschrift eine lebende Ziege mitzunehmen, die er im Laderaum versteckte.
Wie es der Zufall so wollte, wurde Müller bei der Gastwirtschaft Grüber in der Westiger Straße von einem Kontrolleur der Postdirektion angehalten und überprüft. Während der Kontrolle mußte die Ziege pinkeln, das Produkt dieses tierischen Bedürfnisses floß aus dem Gefährt, und die Ziege wurde entdeckt. Den Ärger, den der Kontrolleur machte, war gewaltig.
Jupp Müller sollte drei Mark Strafe bezahlen, aber seine Antwort war: „Bezahl ich nicht!“
Die Postdirektion wandte sich darauf an Müllers Arbeitgeber C.F. Neuhaus, der sich wiederum mit Nachdruck bei der Postdirektion für einen Erlaß der Strafe einsetzte, weil Müller andernfalls mit seiner Kündigung drohte.

Einen so pünktlichen und gewissenhaften Mitarbeiter wollte er nicht verlieren, und das Verfahren wurde tatsächlich eingestellt.

Diese Eigenschaften wurden Josef Müller sogar durch den Oberkreisdirektor des Landkreises Altena in einem Glückwunschschreiben zu seinem 70. Geburtstag im November 1967 bescheinigt. Man dankte ihm, daß er „die Kreisverwaltung in den vergangenen Jahrzehnten pünktlich und gewissenhaft mit allen durch den jeweiligen bahnamtlichen Spediteur zu befördernden Sendungen beliefert“ hat. Der Brief endete mit dem Satz: „Mögen Sie auch künftig trotz Ihres hohen Alters die Ihnen liebgewordenen Aufgaben noch weiterhin wahrnehmen können.“
Müller hatte im Alter wohl den Kutschbock mit dem Beifahrersitz eines zu diesem Zeitpunkt schon ausschließlich gebräuchlichen Kraftfahrzeuges getauscht und dachte also noch nicht an einen wohlverdienten Ruhestand.

Er war ein Fuhrmann aus echtem Schrot und Korn, dem man den Schelm schon an den Augen ansah, ein kräftiger Mann, dem keine Arbeit zu schwer war und den sicherlich so schnell nichts erschüttern konnte.

So schleppte er die schwersten Kisten und Pakete selbst in die obersten Stockwerke in die Wohnungen der Empfänger, obwohl er nur bis Parterre liefern brauchte.
Dafür forderte er dann ein angemessenes Trinkgeld.
Wurde ihm das aber verweigert, schleppte er das Transportgut unter Schimpfen und Fluchen wieder nach unten.
Später soll er dann auf den Frachtbrief, auf dem auch das Rollgeld – also das Transportgeld vom Bahnhof bis zum Empfänger – aufgeführt war, sein Trinkgeld mit eingetragen und aufgerechnet haben.

Zu der Zeit kassierten die Fuhrleute sowohl das Rollgeld als auch die üblichen Nachnahmen in bar.

Als im deutschen Wirtschaftswunder allerorts die Einkäufe über die großen Kaufhäuser Hochkonjunktur erlebten und sogar ganze Wohnzimmereinrichtungen zum Transportgut gehörten, kamen bei der Auslieferung enorme Beträge zusammen.
Jupp Müller hatte die Angewohnheit, die gesamten Tageseinnahmen – manchmal bis zu 3.000 Mark – zusammen mit seinen Zigarren unter der Mütze auf seinem Kopf aufzubewahren.
Hierbei kam es bei der Abrechnung im Büro der Spedition Neuhaus, das die Beträge dann im Tresor aufhob und am folgenden Tag zur Sparkasse brachte – niemals zu Unregelmäßigkeiten.
Das Geld war auf Josef Müllers Kopf sicher wie in Abrahams Schoß.

Dieser Aufbewahrungsort unter der Mütze verleitete dann aber auch ein paar Kumpane zum Schabernack.
Es war in der Osterzeit, Müller kehrte im „Holländer“ (dem heutigen Apollo-Kino) ein, der quasi vor seiner Haustür lag. In der Gaststätte wurden Ostereier an die Gäste verschenkt.
Da man Müllers Angewohnheit kannte, wurde ihm ein rohes Ei angedreht. Tatsächlich ließ er es in dem Glauben, ein gekochtes Ei erhalten zu haben, in der Mütze verschwinden, um sie dann wieder auf den Kopf zu schwingen. Aber es zerbrach nicht, wie von den gespannt wartenden Kollegen erhofft.
Erst, als einer der Mitzecher ihm freundschaftlich mit der Hand über den Kopf fuhr und leichten Druck ausübte, liefen Eiweiß und Dotter unter der Mütze hervor.

Allzeit lautete das Motto der Altenaer Fuhrleute „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps“
Die Arbeit war hart und mühsam und erforderte viel Verantwortung, aber nach den Strapazen der Woche durfte der Straßenstaub ausgiebig aus den Kehlen gespült werden, bevor es nach Hause ging.
Beliebtes Ziel der Fuhrherren waren die Gastwirtschaften „Vom Heede“, „Heiermann“ und „Niedergerke“ in der Bahnhofstraße.
An den Samstagen zum Feierabend standen am Altenaer Güterbahnhof häufig 7 bis 8 eingespannte Fuhrwerke, während die Fuhrmänner gegenüber in den Kneipen das Wochende einläuteten.
Wenn es dann spät abends endlich an der Zeit zum Heimweg war, setzten sie sich auf ihren Kutschbock, ließen das Kinn auf die Brust sinken, schlossen die Augen und überließen die Pferde sich selbst, denn die kannten zielsicher den Weg zum Stall.

Einmal suchte Jupp Müller im „Holländer“ zu vorgerückter Stunde die Toilette auf, um die vielen Bierchen und Schnäpschen „wegzubringen“,und im Nu wurde von den Zechgenossen das ganze Lokal abgedunkelt. Man unterhielt sich aber im normalen Kneipenton weiter. Als Müller nun wieder in den Schankraum trat, die Stimmen hörte, aber in der Dunkelheit nichts mehr sah, rief er erschrocken: „Hilfe! Hilfe! Ich bin blind!“

Üblich war es auch, daß von den Kunden „EINER ausgegeben wurde“, ein Schnäpschen hier, ein Schnäpschen da …

Böse Zungen behaupteten, daß es Jupp Müller dann auch einmal passiert sein soll, daß er in seligem Zustand auf dem Kutschbock einschlief, herunterrutschte und vom eigenen Fuhrwerk überrollt wurde, Gott sei Dank ohne größeren Schaden zu nehmen.

Durch diesen hohlen Tunnel muß er kommen ...
Durch diesen hohlen Tunnel muß er kommen ...

Bei so einem Schläfchen auf dem Weg in die Rahmede bevorzugten seine Pferde irgendwann mal eine Abkürzung … durch den Kleinbahntunnel zwischen Lüdenscheider Straße und Rahmedestraße. Natürlich kam in diesem Augenblick die Kleinbahn aus der Rahmede und pfiff und bimmelte, was das Zeug hergab, als der Lokführer das Hindernis im Tunnel bemerkte. Die Pferde scheuten und Jupp Müller wurde aus seinen Träumen gerissen.
Natürlich war es die Kleinbahn, die auf ihrem angestammten Territorium zurücksetzen mußte …

 

Im „Märkischen Hof“ hatten es seine Kumpel dann auch einmal darauf abgesehen, Jupp Müller so „richtig abzufüllen“. Es muß so schlimm zugegangen sein, daß die Leute hinterher dachten, er wäre tot, und man hat ihn in einer Badewanne „aufgebahrt“.

 

Mit Leichentransporten hatte es Jupp Müller auch hin und wieder zu tun, dann fuhr er einen Leichenwagen. Einmal holte er einen Sarg mit einer Leiche darin aus der Innenstadt; als Fahrtroute wählte er den Weg über die alte, damals noch als Einbahnstraße befahrbare „Mittlere Brücke“ zur Lüdenscheider Straße hin. Die Auffahrt zur Brücke war sehr steil, und die Pferde mußten mit Schwung um die Kurve und die Steigung hinauf. Vielleicht war der Wagen nicht richtig verschlossen, jedenfalls passierte es, daß ihm der Sarg vom Wagen rutschte.

 

Solche Mißgeschicke konnten Jupp nicht erschüttern, und er war und blieb unter Kollegen und Mitbürgern ein beliebter und geachteter Mann.
Wenn er vor Weihnachten mit dem Fuhrwerk vor den Betrieben hielt, um seine Ladung auszuliefern, warteten überall schon die Präsente auf ihn: Eine Flasche Schnaps und eine Kiste Zigarren.
Wenn er mal mit der „Elektrischen“, nach Hause in die Nette fuhr, dann wurde von ihm kein Fahrgeld gefordert, und er benutzte auch keine Haltestellen. Dort, wo er stand, hielt die Straßenbahn an und nahm ihn mit.

Und der bekannte Herscheider Maler Heinz Wever setzte ihm mit einem exzellenten Portrait in Öl auf Leinwand ein bleibendes Denkmal – das prägnante Gesicht eines pfiffig-schelmisch dreinschauenden Lausbuben – eines echten Altenaer Originals.

Josef Müller (Gemälde von Heinz Wever)
Josef Müller (Gemälde von Heinz Wever)

 

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