Die Sage vom Drahtzieher und dem Goldschatz auf dem Klusenberg

 

Vor vielen, vielen Jahren lebte in Altena ein redlicher Drahtzieher, der arbeitete an einer Drahtrolle in der Nette unterm Klusenberg.
Eines Nachts träumte ihm, er stünde vorm Stadttor von Soest und würde dort sehr reich. „Ach“, sagte sich der gute Mann, „Träume sind Schäume!“ und als er am nächsten Morgen seiner harten Arbeit nachging, hatte er seinen Traum fast vergessen.
Doch in der folgenden Nacht wachte er wieder von dem gleichen Traum auf, und er weckte seine Frau. „Weib“, sagte er, „mir träumte, ich stünde vorm Stadttor von Soest und würde dort sehr reich.“ „Und wie solltest du denn reich geworden sein?“ entgegnete die Frau. „Das träumte mir nicht“, sagte der Mann. „So schlaf nur weiter, lieber Mann“, sagte die Frau, „von Träumen ist noch niemand reich geworden.“
Und so drehte er sich um und wollte seinen Traum vergessen, doch auch am folgende Tage mußte er trotz aller Mühen und Plagen immer wieder daran denken. Als sich der Traum nun in der dritten Nacht wieder einstellte, weckte er seine Frau: „Höre, mir träumte wieder, ich stünde vorm Stadttor von Soest und würde dort sehr reich. Ich werde aufbrechen nach Soest, denn ich glaube, daß dieser Traum etwas zu bedeuten hat.“ „Ach“, sagte die Frau, „gehe nicht, der Traum wird nichts zu bedeuten haben, und Soest liegt über fünf Tagesreisen entfernt. Wer will uns ernähren, wenn du fort bist?“ Der Drahtzieher besann sich, und er mußte seiner Frau recht geben.
Doch als ihn der gleiche Traum in der vierten Nacht wieder heimsuchte, da hielt es ihn nicht mehr, er machte sich in aller Frühe heimlich auf den Weg nach Soest. Am fünften Tage kam er bei Sonnenaufgang in Soest an, als gerade die Stadtwache vorm Stadttor aufzog. „Nun will ich sehen, was geschieht“, dachte der Mann, und so wartete er den ganzen Tag, viele Leute zogen an ihm vorbei, Kaufleute wie Bettler, Bürger wie Edelleute, doch nichts deutete darauf hin, daß unser Drahtzieher reich werden sollte.
Die Nacht verging, und als er am nächsten Morgen noch immer vor dem Tor stand, kam ein Soldat der Stadtwache auf ihn zu. „Gott zum Gruß, Fremder“, sprach ihn der Soldat an, „Was tust du hier, ich habe dich schon gestern den ganzen Tag hier stehen sehen. Was führst du im Schilde?“ „Ach“, entgegnete der Drahtzieher, „von mir geht nichts Böses aus. Mir träumte nur mehrere Nächte der gleiche Traum, ich stünde vorm Stadttor von Soest und würde reich. Und nun steh ich hier, habe Weib und Kinder allein und meine Arbeit ruhen lassen, aber nichts geschieht.“
„Guter Mann“, erwiderte der Stadtsoldat, „So sind Träume! Auch mir träumte einst in mehreren Nächten, unter einer Ruine auf dem Klusenberg läge ein gewaltiger Schatz vergraben, doch wen ich auch fragte, niemand konnte mir sagen, wo ich den Klusenberg finden würde. Und so bin und bleibe ich noch immer ein armer Söldner.“

Als der Drahtzieher diese Worte hörte, überfiel ihn eine große Freude. Er zog den erstaunten Stadtsoldaten an sein Herz und rief: „Guter Freund, vertraue mir und komm mit mir, hier hat das Schicksal Zwei zusammengeführt, die wohl gemeinsam ihr Glück machen sollen.“

Und sie begaben sich auf geradem Wege zur Ruine auf dem Klusenberg in Altena, wo sie am Grunde der Mauer unter den verfallenen Fensterbögen zu graben anfingen und eine schwere eiserne Truhe ans Tageslicht brachten, die bis zum Rand gefüllt war mit Gold, Silber und Edelsteinen.

Sie teilten redlich, wie es das Schicksal vorgesehen hatte, und als der Drahtzieher mit Reichtümern voll beladen vor seinem Haus ankam, fielen ihm seine Frau und seine Kinder glücklich in die Arme. „Lieber Mann, was habe ich mir Sorgen um dich gemacht!“ rief die Frau, „Wie froh bin ich, dich wieder bei mir zu haben!“ Und als der Drahtzieher erzählte, was ihm widerfahren war, fügte sie hinzu: „Verzeih mir bitte, daß ich dir deinen Traum auszureden versuchte.“

Und sie lebten glücklich und ohne Sorgen bis ans Ende ihrer Tage.

 

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