Die sagenhafte Eiche auf der Giebel

 

Nördlich von Dahle liegt ein Berg, genannt „Die Giebel“. Nicht weit von diesem Berg entfernt soll vor langer Zeit die Isenburg oder Isselbacherburg gestanden haben, wo verwegene Raubritter hausten. Ihre auf den Raubzügen erbeuteten Schätze vergruben sie unter einer Eiche auf der Giebel.

Einstens fand ein dahler Holzfäller im dichten Wald diese Eiche, die unter der Rinde über und über mit Eisenplättchen bedeckt war. Er hatte von der Sage gehört, daß der Waldarbeiter, der diese Eiche einmal fällen würde, ein Sonntagskind sein würde und die goldenen Schätze der Isenburger Raubritter finden würde. Er müsse es nur richtig anstellen.

Zu dieser Zeit kamen viele Bergleute aus fernen Gegenden in die sauerländischen Berge, um nach Eisen, Kupfer und Blei zu schürfen. Und so kamen diese Fremden auch nach Dahle.

Eines Tages traf der Holzfäller einen dieser fremden Bergleute, und er erzählte diesem von seiner Entdeckung. Sie konnten sich schlecht verständigen, kamen aber überein, den Schatz gemeinsam zu heben und zu teilen. Es war gerade die Johannisnacht, in der alle Hexen auf ihren Besen zum Blocksberg ritten, und der Schatz mußte in der Geisterstunde gehoben werden, sonst wäre alle Mühe und Arbeit vergeblich gewesen.

Der Waldarbeiter fällte also die Eiche, und in der Nacht traf er sich mit dem Fremden an der Stelle.

Zuerst begann der Dahler zu graben. Er arbeitete tüchtig, aber die Grube wurde nur langsam tiefer. Der Bergmann schaute müßig zu, und nach einer ganzen Weile sprach er: „So, nun ist meine Stunde gekommen, nun will ich weitergraben.“ Er stellte sich über die Grube, schlug mit der Hacke in alle vier Himmelsrichtungen und murmelte dabei mit hohler Stimme einen langen Schatzgräbersegen. Dann grub er sich mit geübter Hand wie ein Maulwurf in die Erde. Bald war nur noch sein Hut zu sehen. Da gab es in der Tiefe einen dumpfen Ton, als träfe der Spaten auf einen hohlen Raum. Der Dahler lauschte atemlos in die Dunkelheit – es konnte ja nichts anderes als die Schatzkiste sein.

Der Bergmann sprang aus der Grube und fragte: „Bäuerle, haschte a Sack?“ Und der Dahler antwortete: „Ach Guott, den hew ick ganz vergiäten“ (Ach Gott, den hab ich ganz vergessen).

Der Bergmann schimpfte den Dahler aus, der einen Schatz heben wollte und den Sack vergaß, in dem er ihn nach Hause bringen wollte. Er schickte den Holzfäller fort, den Sack zu holen, er solle sich aber beeilen, denn er müsse vor Ende der Geisterstunde zurück sein. Der Dahler lief dann auch wie ein Windhund davon. In kaum dreiviertel Stunden war er schweißtriefend wieder zur Stelle. Aber dort war niemand mehr, es war einsam und still. Nur ein Käuzchen saß auf den Mauerresten der Burg und rief schaurig. Der Dahler rief aus Leibeskräften nach dem Bergmann, aber der ließ sich nicht sehen und hören. Endlich hörte er aus der Ferne den Fremden: „Ich hab mein Teil, hol dir das deine!“ Ihm war, als sähe er in der Ferne einen schwertragenden Mann durch das Heidekraut schleichen und verschwinden.

Aber er lief nicht hinter dem Fremden her, sondern dachte an das nahe Ende der Geisterstunde und daß der ehrliche Finder ihm sein Teil zurückgelassen habe. Er ließ also den Bergmann ziehen und stieg eilends in die Grube. Aber die war schon wieder halb mit Erde gefüllt. Der Dahler meinte, der ehrliche Bergmann hätte den Schatz mit Erde bedeckt, damit die Geister seiner nicht ansichtig würden. In großer Hast und Eile begann er die Erde auszuwerfen. Da hörte er auf einmal deutlich den Schlag der Turmuhr von Dahle durch die Stille – Ein Uhr!

Ängstlich und ärgerlich warf er den Spaten weg und kletterte aus der Grube. Es geschah aber nichts und es blieb alles ruhig. „Die kräftige Beschwörungsformel des Bergmanns wirkt noch“, dachte er sich. Und er stieg wieder in die Grube und schaufelte und schaufelte; wäre er nicht gänzlich ermüdet zusammengebrochen, er hätte bis zum jüngsten Tag weitergraben können, ohne den Schatz zu finden.

Da erst ging ihm ein Licht auf. Der Schatz war wirklich da gewesen, aber der schlaue Bergmann hatte ihn ganz gehoben. Und während der Dahler weiter grub, war der Fremde über alle Berge.

Er ballte die Faust und rief: „Warte, Männeken, du Satan, wenn ich dich kriege!“ Aber er fühlte sich müde, elend und matt, nahm Hacke und Spaten auf die Schulter und schlich unter schweren Gedanken heim.

 

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